Dynamische Sicherheit im Justizvollzug
Wenn Menschen mit dem Gesetz in Konflikt geraten, droht ihnen unter Umständen der Entzug ihrer Freiheit. Dies stellt ein grosser Eingriff dar. Mit der Umsetzung der Konzeption der Dynamischen Sicherheit wurde für das Personal im Justizvollzug ein Kulturwandel eingeleitet.
Die Belegung der St.Galler Justizvollzugseinrichtungen (Strafanstalt Saxerriet, Massnahmenzentrum Bitzi, Regionalgefängnis Altstätten und Polizeigefängnisse) betrug über das Jahr 2023 zwischen 83 und 90 Prozent (Monitoring Justizvollzug, MJV 2023). Die meisten Personen verbrachten dort wenige Tage, andere einige Monate, wiederum andere werden erst, wenn überhaupt, nach mehreren Jahren entlassen. In der Schweiz betrug die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in Gefängnissen knapp 2 Monate.
Unter erschwerten Bedingungen – einer Vielzahl von Ein- und Austritten sowie oft kurzen Aufenthaltsdauern – müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen des Freiheitsentzugs zwei beinahe gegensätzliche Aufträge erfüllen: Die Gesellschaft vor Personen schützen, die andere gefährden können, und gleichzeitig zur sozialen Wiedereingliederung ebendieser Personen beitragen, indem sie ihre Fähigkeit, ein straffreies Leben in Freiheit zu führen, fördern.
Hier setzt das Konzept der Dynamischen Sicherheit an: Während passive (bauliche) Sicherheit den Rahmen für eine sichere Umgebung bietet, sorgen klare Regeln im Alltag (prozedurale Sicherheit) für ein geordnetes Miteinander. Letztlich hängt erfolgreiche Wiedereingliederung jedoch vor allem von der vertrauensvollen Beziehung zwischen Mitarbeitenden und eingewiesenen Personen ab. Und zwar insbesondere davon, ob auf Basis dieser Beziehung die Motivation für Lernprozesse, persönliche Entwicklung und Verhaltensveränderung bei der eingewiesenen Person erreicht werden kann.
Eigene Mitarbeitende weiterbilden
Die Institutionen des Freiheitsentzugs sind kantonal organisiert. Die Kantone harmonisieren ihre regionale Praxis im Rahmen von Strafvollzugskonkordaten. Auf nationaler Ebene ist das Schweizerische Kompetenzzentrum für den Justizvollzug (SKJV) für die Ausbildung des Personals zuständig.
Das Amt für Justizvollzug hat im Jahr 2023 mehrere Schulungen durch das Schweizerische Kompetenzzentrum für Justizvollzug in St.Gallen durchführen lassen, um den Zugang für die Mitarbeitenden zu erleichtern. Weitere Ausbildungen sind auch für das Jahr 2024 geplant.
Vier Aspekte sind zentral
Wenn dynamische Sicherheit in einer Einrichtung gelebt wird, drückt sich das durch folgende Aspekte aus:
- Aufmerksamkeit gegenüber Veränderungen unter inhaftierten Personen, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Risikogruppen (selbst- und fremdgefährdend) gelegt wird.
- Interaktivität: Eine aktive Präsenz des Personals (z. B. im Pausenbereich, am Arbeitsplatz) ist gewährleistet und das Gespräch mit inhaftierten Personen wird so häufig wie möglich proaktiv gesucht.
- Positive Beziehungsarbeit: Arbeitsbeziehungen im Rahmen des Justizvollzugs sind so ausgestaltet, dass trotz der Gefangenschaft ein konstruktives Klima herrscht (eingewiesene Personen können sich insbesondere erfolgreich auf die gesellschaftliche Wiedereingliederung vorbereiten). Eingewiesene Personen wenden sich bei Problemen frühzeitig an das Personal.
- Deeskalation: In Krisensituationen, wie sie im Vollzugsalltag häufig vorkommen, schafft es das Personal, seine Professionalität zu bewahren und die notwendigen Massnahmen unter Beachtung der Verhältnismässigkeit einzuleiten.
Dynamische Sicherheit braucht Ressourcen
Durch die Umsetzung des Konzepts der Dynamischen Sicherheit findet im Justizvollzug ein Kulturwandel statt. Während es früher als verpönt galt, sich allzu nahe mit den inhaftierten Personen auszutauschen, hat sich mittlerweile das Bewusstsein entwickelt, dass es richtig und wichtig ist – und zwar aus einer Sicherheits- und Entwicklungsperspektive – mehr Zeit in Gespräche und Interaktion mit eingewiesenen Personen zu investieren. Dieses Bewusstsein mündet in konkrete Bemühungen, neue Räume und Gelegenheiten für Interaktionen zu schaffen, und dies trotz begrenzter Ressourcen.
Um dynamische Sicherheit in den Einrichtungen weiter zu fördern, braucht es jedoch mittelfristig mehr personelle und zeitliche Ressourcen. Das wird klar, wenn man das Anforderungsprofil des früheren «Gefängniswärters» mit dem heutigen «Betreuungspersonal» vergleicht. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigen für diese Aufgabe ein hohes Mass an sozialen Kompetenzen: Kommunikations- und Empathiefähigkeit, Konflikt- und Reflexionsfähigkeit. Sprich: Sie sollen gute Vorbilder für die eingewiesenen Personen sein, bei denen diese Kompetenzen oft unzureichend ausgebildet sind.
Dies bedingt wiederum, dass die Direktorinnen und Direktoren und Führungspersonen im Justizvollzug selbst vom Konzept überzeugt sind und für dieses einstehen und es vorleben. Nur so kann der Schwung dieses noch jungen Konzepts der dynamischen Sicherheit zu sichereren Haftbedingungen und einer guten Wiedereingliederung von straffällig gewordenen Personen beitragen.
Weitere Informationen und der Link zum Handbuch finden Sie unter:
Die Konzeption wurde von Ahmed Ajil erarbeitet.