Situation von Familien verbessern
Der vom Departement des Innern erarbeitete Familienbericht zeigt: Familien finden im Allgemeinen gute Rahmenbedingungen vor, gleichzeitig besteht Verbesserungspotenzial, zum Beispiel bei der finanziellen Situation.
Die Regierung hat in den letzten Jahren Akzente bei der Familienpolitik gesetzt, zum Beispiel mit der Förderung der Kinderbetreuung. Zusammen mit den Gemeinden möchte die Regierung auch in Zukunft die Situation von Familien gestalten und damit zur Erreichung des Schwerpunktziels «Chancengerechtigkeit sicherstellen» beitragen.
Familienbericht zeigt Handlungsmöglichkeiten
Im Bericht Grundlagen der Familienpolitik im Kanton St.Gallen (40.23.05) zeigt die Regierung Möglichkeiten zur besseren Förderung von Familien im Kanton auf. Der Bericht wurde gemeinsam von den Departementen Inneres, Bildung und Gesundheit erarbeitet und konnte im Jahr 2023 fertiggestellt werden. Anfangs 2024 wird der Bericht durch den Kantonsrat beraten.
Fast jede zehnte Familie lebte im Kanton St.Gallen im Jahr 2019 unter dem sozialen Existenzminimum der Sozialhilfe und galt damit als absolut arm. Diese Familien haben nicht genügend Geld für eine bescheidene und menschenwürdige Lebensführung mit einer minimalen sozialen Teilhabe.
Familienarmut im Kanton
Der Bericht zeigt, dass viele Familien im Kanton aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse nicht die Chance haben, sich ihrem Potenzial und ihren Bedürfnissen entsprechend zu entwickeln. Das bestehende System der sozialen Sicherung trägt den Verhältnissen von Familien zu wenig Rechnung und deckt Risiken von Einelternhaushalten oder Working Poor zu wenig ab. Deshalb wurde eine separate Studie zu möglichen Modellen für die Einführung von kantonalen Ergänzungsleistungen für Familien (Familien-EL) in Auftrag gegeben, die im Bericht näher vorgestellt werden. Die Regierung erachtet die Einführung von Familien-EL aus finanzpolitischen Gründen als nicht angezeigt. Andere Massnahmen sollen stattdessen geprüft werden. Das bestehende System der Sozialhilfe trägt beispielsweise den speziellen Verhältnissen von Familien wenig Rechnung und einige Ausgestaltungsmerkmale sind speziell für die Bedürfnisse von Familien ungünstig (z.B. Rückerstattungspflicht, Verknüpfung mit Aufenthaltsstatus, Stigmatisierung). Auch die Alimentenbevorschussung könnte durch Anpassungen hinsichtlich Bevorschussungsgrenze und -höhe wirksamer gestaltet werden.
Um die Bemühungen zugunsten von Familien zu bündeln und konkrete Schritte einzuleiten, stellt die Regierung die Erarbeitung einer Familienstrategie in Aussicht. Wichtig ist, dass dabei alle relevanten Akteurinnen und Akteure – allen voran die Gemeinden – einbezogen werden.
Verbesserungen bei der Unterbringung von Minderjährigen
Nicht immer können Kinder und Jugendliche in ihrer eigenen Familie leben. Zusätzlich zum Familienbericht wurde im Jahr 2023 ein Bericht erstellt (40.24.01), der aufzeigt, welche Unterbringungsmöglichkeiten heute bestehen, wie die Finanzierung funktioniert und wie das bestehende System vereinfacht werden kann. Die Regierung sieht klar Handlungsbedarf. Eine Überarbeitung müsste aber das ganze System einbeziehen, damit sämtliche Schnittstellenprobleme auch behoben werden können. Die Regierung will ein solches Projekt in Angriff nehmen, sofern das dem Willen des Kantonsrates entspricht. Dieser wird den Bericht Mitte 2024 beraten.
Was zeigt die Grafik?
Als absolute Armutsgrenze wird das von der St.Gallischen Konferenz der Sozialhilfe (KOS) definierte «soziale Existenzminimum» bezeichnet, an dem sich die Gemeinden bei der Gewährung von Sozialhilfe orientieren. Das soziale Existenzminimum bildet jenen finanziellen Mittelbedarf eines Haushalts ab, der eine bescheidene und menschenwürdige Lebensführung mit einer minimalen sozialen Teilhabe ermöglicht. Dies ist nicht mit der Sozialhilfequote gleichzusetzen, da ein erheblicher Teil von Familien, die Anspruch auf Sozialhilfe hätten, diese aus unterschiedlichen Gründen (z.B. Stigmatisierung, ausländerrechtliche Konsequenzen) nicht beziehen.
Die relative Armutsquote orientiert sich daran, wie eine Familie finanziell relativ zum «Standard» einer Gesellschaft positioniert ist. Als Referenzwert werden 60 Prozent des mittleren verfügbaren Äquivalenzeinkommens (Median) der Gesellschaft gewählt. Familien, die über weniger Einkommen als diesen Referenzwert verfügen, gelten als von relativer Armut betroffen.
Interview mit Adela Civic
Was sind die wichtigsten Massnahmen zur Verbesserung der Situation von Familien?
Einerseits braucht es die übergeordnete Familienstrategie. Anderseits wurde im Grundlagenbericht bereits erkannt, dass die bestehenden Instrumente in der sozialen Sicherung gestärkt werden können. Wie können armutsgefährdete und armutsbetroffene Familien aktiver und nachhaltiger sozial und beruflich integriert werden? Welche Möglichkeiten haben und nutzen wir, um betroffene Kinder und Jugendliche gut auszubilden und sie sicher in die Selbständigkeit zu begleiten? All dies gilt es zu beleuchten und die bestehenden Zugänge sichtbarer und niederschwelliger zu gestalten.
Was sind heute die Stärken im Bereich der Familienförderung?
Die Gemeinden sind aktiv und leisten gute Arbeit auf verschiedenen Ebenen der Familienpolitik. Im Bereich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf läuft bereits vieles. Trotzdem braucht es ein breiteres Angebot seitens Arbeitgebenden und Betreuungsmöglichkeiten, damit die verschiedenen Familienformen alles unter einen Hut bringen und sich die Kinder gesund entwickeln können.
Welchen Einfluss hatte die Corona-Pandemie für armutsbetroffene Familien?
Das Budget von armutsbetroffenen Familien wurde in der Corona-Pandemie stark belastet. Erfahrungsgemäss bezahlen Familien zuerst die Krankenkassenprämien nicht mehr und somit entstehen Lücken im Versicherungsschutz. Dies belastet die Familien, insbesondere diejenigen mit gesundheitlichen Einschränkungen, massiv. Falls finanzielle Rückstellungen zuvor vorhanden waren, waren diese aufgrund von Einkommenseinbussen rasch aufgebraucht und es konnten keine neuen Rückstellungen mehr aufgebaut werden. Dies führte dazu, dass unvorhergesehene Rechnungen nicht mehr bezahlt werden konnten. Viele waren auf Budget- und Schuldenberatungen angewiesen. Hier war für viele Haushalte die kantonale Corona-Hilfe von grosser Bedeutung.
Umsetzung Haushaltsgleichgewicht 2022plus bei den Familienzulagen
Ab 2024 beteiligt sich ein Teil der Nichterwerbstätigen an der Finanzierung der Familienzulagen. Damit führt der Kanton St.Gallen eine Lösung ein, wie sie bereits andere Kantone kennen. Die Regierung setzte Ende 2023 mit einer Änderung der Verordnung zum Einführungsgesetz zur Bundesgesetzgebung über die Familienzulagen (sGS 371.11) eine Massnahme aus dem Projekt Haushaltsgleichgewicht 2022plus um. Bis jetzt trug der Kanton die Kinder- und Ausbildungszulagen von Nichterwerbstätigen mit Familie allein – im Jahr 2022 betrugen die Kosten dafür rund 4,1 Millionen Franken. Neu soll ein Teil der Ausgaben für die Familienzulagen für Nichterwerbstätige zulasten derjenigen nichterwerbstätigen Personen gehen, die mehr als den AHV-Mindestbeitrag von 422 Franken zahlen (zum Beispiel aufgrund der Vermögenssituation oder anderer Einkünfte). Die betroffenen Nichterwerbstätigen bezahlen die Beiträge zugunsten der Familienzulagen über die für sie zuständige Ausgleichkasse.