«Jedes in den Medien thematisierte kapitale Verbrechen landet früher oder später auf unserem Tisch.»
Die Fachkommission beurteilt die Gemeingefährlichkeit von Straftätern. Dr. Peter Straub, Leitender Staatsanwalt im Untersuchungsamt Gossau, präsidiert das konkordatliche Gremium seit 2022.
Wenn Mörder, Vergewaltiger, Kinderschänder Lockerungen im Straf- oder Massnahmenvollzug erhalten und es dabei zu erneuten gravierenden Straftaten kommt, stellt sich die Frage nach der Verantwortlichkeit. Schnell schlagen die Wellen der Empörung über (vermeintliche) Justizskandale hoch. Klar ist: die Sicherheit der Gesellschaft vor gemeingefährlichen Straftäterinnen und -tätern hat höchste Priorität. Sie gilt es zu gewährleisten. Doch der Ruf nach absoluter Sicherheit ist das Eine, abwägend, rechtsstaatlichen Prinzipien folgend zu entscheiden, das Andere. Die Beurteilung der Gemeingefährlichkeit steht daher im Spannungsfeld zum verfassungsrechtlich garantierten Anspruch der inhaftierten Person auf Resozialisierung. Auch die Gesellschaft hat ein vitales Interesse daran, dass Straftäter nicht unvorbereitet in Freiheit entlassen werden.
Für die Gesellschaft wie für die Straftäterinnen und Straftäter steht viel auf dem Spiel.
Vor weitreichenden Vollzugslockerungen wird daher die Fachkommission angehört – ein interdisziplinär zusammengesetztes Gremium bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der Strafverfolgungs- und Justizvollzugsbehörden sowie der Psychiatrie. Mit der gebotenen Distanz und der Optik von nicht direkt involvierten Expertinnen und Experten gelingt es der Fachkommission, eine fundierte Beurteilung der Gemeingefährlichkeit vorzunehmen.
Unsere Stärke ist die interdisziplinäre Zusammensetzung.
Mitarbeitende des Kantons St.Gallen stellen sich dieser Verantwortung: So ist der Leitende Staatsanwalt Dr. Peter Straub seit 2022 Präsident der Fachkommission. Als weitere Mitglieder fungieren Dr. med. Christiane Thomas-Hund, Chefärztin in der Psychiatrie St.Gallen, Dr. Claudio Vannini, Direktor des Massnahmenzentrums Bitzi, und Staatsanwältin Virginie Chau. Dem Gremium gehören insgesamt 16 Personen aus weiteren Kantonen an. Die Fachkommission beurteilt auf Antrag des für den Vollzug zuständigen Kantons die Gemeingefährlichkeit von Straftäterinnen und Straftätern. Hierbei handelt es sich beinahe ausnahmslos um Personen, die psychiatrisch teils mehrfach begutachtet wurden und sich im Straf- oder Massnahmenvollzug oder in der Verwahrung befinden. Jedes Jahr beurteilt die Fachkommission in durchschnittlich 70 Fällen die Gemeingefährlichkeit von Personen. Beinahe jedes in den Medien thematisierte kapitale Verbrechen landet früher oder später auf dem Tisch der Fachkommission. Schwerpunktmässig geht es um Delikte gegen Leib und Leben sowie um schwere und schwerste Sexualstraftaten.
Man blickt in menschliche Abgründe, begegnet jeder erdenklichen Ausprägung von Persönlichkeitsstörungen.
Entsprechend hoch ist die gesellschaftspolitische Verantwortung. Gerade bei langjährigem Freiheitsentzug besteht ein öffentliches Interesse, dass die im Vollzug erzielten Therapieerfolge schrittweise erprobt werden. Die Fachkommission entscheidet daher nicht abstrakte, sondern konkrete Fragestellungen, wobei in der Folge auch kantonale Obergerichte und das Bundesgericht die Entscheide der Fachkommission mitberücksichtigen. In ihrer Stellungnahme geht die Fachkommission zunächst auf die Biografie, die Anlasstat und das Strafverfahren ein. Die psychiatrische Begutachtung, der Therapieverlauf sowie das Vollzugsverhalten werden eingehend analysiert. Es folgt eine Gemeingefährlichkeitsanalyse basierend auf einem anerkannten Instrumentarium der forensischen Psychiatrie. Abschliessend nimmt die Fachkommission eine Gesamtbeurteilung der Gemeingefährlichkeit unter Einbezug aller prognostisch positiv oder negativ zu gewichtenden Umstände vor. Diese werden in der Sitzung der Fachkommission diskutiert. Ausgehend von dieser Beratung wird die beantragte Vollzugslockerung bewertet und im Ergebnis befürwortet oder abgelehnt.
Die Inanspruchnahme der Fachkommission hat sich auf schwierige Grenzentscheidungen, bei denen eine Second Opinion notwendig ist, zu beschränken. Ihr Beizug schafft so Mehrwert im Abwägungsprozess zwischen Resozialisierung und dem Schutz vor gemeingefährlichen Straftäterinnen und Straftätern.